Meisterwerk Flakon: Das Auge riecht mit!
In den meisten Fällen ist es Liebe auf den ersten Blick: Parfums sind kleine Kunstwerke, inspirierend und bereichernd, öffnen sie die Tür zu einer sinnlichen Welt. Damit ein Parfum aber gut ankommt, muss nicht nur der Duft stimmen, sondern auch die Gestalt des Flakons. Denn man sieht, bevor man riecht!
Es ist später Samstagnachmittag, man flaniert gemütlich durch eine Parfumerie, geht auf Duftreise und plötzlich sticht ein Parfum hervor, DAS Parfum! Es war aber nicht der Duft, der die Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern der Flakon. Duftwässer gibt es schon eine halbe Ewigkeit, Flakons, wie wir sie heute kennen, allerdings erst seit etwa hundert Jahren.
Auf dem Weg zum individuellen Kunstwerk
Von rund über eckig bis apfelförmig, schmal oder breit, aus Glas, Porzellan, mit Blumen oder sogar mit echtem Gold verziert – das ist seine Majestät – der Flakon. Um ihn herzustellen, wird mindestens so viel Gestaltungsaufwand betrieben wie bei der Mixtur des Dufts selbst. Aber erst mal zurück zu seinen Anfängen: Wie die Parfumentwicklung selbst beginnt auch die Geschichte des Flakons noch in der Antike. Schon zur Zeit der Pharaonen im alten Ägypten wurden wohlriechende Essenzen in Parfumtöpfchen aus Holz, Stein, Metall, Ton oder Lehm aufbewahrt, im antiken Griechenland auch gern in Vasen oder Amphoren mit farbenfrohen Bildern, Muscheln, Edelsteinen. Die Römer hingegen bevorzugten in Form geblasenes Glas in allen Farben zur Verwahrung der kostbaren Essenzen aus Frankreich und Norditalien. Im Orient wurden die Parfumfläschchen aus Bronze oder Messing gefertigt und mit Tierfiguren aus Gold- und Silberdraht verziert – kleine kunstvolle Wunderwerke, die zu Beginn des Mittelalters von venezianischen Kaufleuten entdeckt und kopiert wurden. Dadurch wurde die Lagunenstadt schnell zu einer der Bastionen des Guten Tons mit dem gewissen Etwas an Eleganz und Originalität. Das 18. Jahrhundert brachte Flaschen in allen Formen und Größen hervor, von einfachen Fläschchen bis zu barocken Allegorien, von pastoralen bis zu galanten Szenen. Während der Epoche des Biedermeier machte die (Wieder-) Entdeckung des „Rubinglases“ sowie ihr bleifreies Kristallglas die böhmischen Glashütten berühmt, die mit Parfumflakons auf höchstem künstlerischem Niveau überzeugten. Glas war bei weitem aber nicht das einzige verwendete Material: So begeisterten auch Parfumdosen aus Gold, Silber oder Vermeil sowie Duftdosen aus Porzellan, Metall oder Halbedelsteinen.
Die Grundsteinlegung des modernen Flaskondesigns
Der Parfumeur François Coty war um die Jahrhundertwende der erste, der daran dachte, sich mit einem Designer zusammenzutun und den Flakon zu einem Kunstobjekt zu machen. So gab er dem bekanntesten Jugendstilkünstler René Lalique den Auftrag, für seine Düfte passende Flakons zu entwerfen. Laliques erster Flakon aus Milchglas trug den Namen „Ambre Antique“ und zeigte griechisch-antikisierende Damen. Es war ein innovativer und künstlerischer Ansatz, der großen Einfluss auf die Entwicklung der Parfumindustrie hatte. Nur drei Jahre später entwarf er den Flakon für „Misti“, einen Duft des Parfumherstellers L.T. Piver. Wer von Lalique spricht, muss im gleichen Atemzug aber auch die großen Künstler Louis Tiffany oder den unvergleichlichen Èmile Gallé sowie die Kristallfabrik Baccarat nennen. Der französische Glasfabrikant hat Flakons für alle wichtigen Parfumhersteller entworfen und produziert. Dank der Zusammenarbeit zwischen Coty und Lalique war der Flakon nicht länger nur ein einfacher Gegenstand, mehr oder weniger dekorativ, mehr oder weniger luxuriös. Er ist zu einem Kunstobjekt, gar Sammlerstück geworden, der seither Geschichte schreibt.
Ikonen unter den Legenden
Es gibt Parfums und damit auch Flakons, die in die Geschichte der Parfumerie eingegangen sind und die kollektive Vorstellungskraft unauslöschlich geprägt haben. Einige gelten als Must-haves, die gesammelt werden, weil sie mit einer bestimmten Geschichte oder berühmten Persönlichkeiten verbunden sind oder weil sie die klassischen Designmuster völlig durchbrochen und neue Trends geschaffen haben. Allen voran der Flakon von Chanel N°5 (1921) mit seiner quadratischen Form und den klaren Linien. Er wurde als Echo auf die Couture-Kreationen von Gabrielle „Coco“ Chanel konzipiert und hat die gesamte Parfumkollektion über Jahre geprägt. Der 1925 von Raymond Guerlain entworfene Shalimar-Flakon aus Baccarat-Kristall – inspiriert von den Becken, die die Gärten von Shalimar („Tempel der Liebe“) schmücken, gekrönt von einem saphirfarbenen, fächerförmigen Verschluss – gewann auf der Ausstellung der dekorativen Kunst in Paris sogar den ersten Preis. Guerlain ist übrigens auch für den prächtigen „Bienen“-Flakon verantwortlich, der 1853 für das „Eau de Cologne Impériale“ kreiert wurde, das für Kaiserin Eugénie bestimmt war. Eine Flasche, die das berühmte Haus noch heute auf Anfrage anbietet. Ein anderes Aufmerksamkeit erregendes Beispiel war Calandre von Paco Rabanne: Im Jahr 1968 dachte sich der Designer Pierre Dinand in Anlehnung an kostbare Materialien eine graue Kunststoffstruktur aus, um das Glas in seiner reduzierten Form zu architektieren. Damit schuf er einen Präzedenzfall, der die Möglichkeiten der Materialverwendung auf eine neue Ebene führte. So ist zum Beispiel der Flakon zu „Jazz“ von Yves Saint-Laurent (1988), schwarz-weiß wie die Tasten eines Klaviers, aus Polyamid gefertigt. Eingebettet zwischen der Gegenkultur der 1960er und den opulenten 1980er Jahren, waren die 1970er Jahre eine Zeit des Übergangs, wo Schmuckdesignerin und Halston Muse Elsa Peretti mit ihrer Flakon-Idee für den Halston Duft Schönheit und Modernität in Einklang brachte. Der bekannte tropfenförmige Flakon stilisiert die Formen eines weiblichen Körpers, wobei er gleichzeitig den Eindruck von vollendeter, glamouröser Eleganz vermittelt. Keinerlei Beschriftung oder Etikett stört den einzigartigen Eindruck, den das kleine Kunstwerk hinterlässt. Ein Novum zur damaligen Zeit, welche die Flakons zum Schmuckstück mit Kultstatus machten.
Parfum und Flakon – einfach unzertrennlich
„Das Design einer Flasche,” erklärt Thierry de Baschmakoff, “entsteht lange vor ihrem Inhalt. Sie dient dazu, die DNA und die Geschichte der Marke zu formen und das Universum zum Ausdruck zu bringen, das um das neue Produkt herum geschaffen wurde, ohne seine Vorgänger zu vernichten.“ Viele der bekanntesten und berühmtesten Parfumflakons der Welt sind der Kreativität des französischen Designers entsprungen: Bulgari, Cartier, Dior, Balenciaga, Lanvin, Kenzo, Givenchy und Balmain, um nur einige Marken / Kunden / Auftraggeber zu nennen. Seine Theorie liegt auf der Hand, wenn man sich einige Verbindungen zwischen Parfums und Flakons ansieht, die zu Klassikern geworden sind: Olivia Cheap & Chic von Moschino ist seit 1995 eine Ikone der befreiten Weiblichkeit, Thierry Muglers Stern lässt Angel weiterhin in der Welt der Bestseller glänzen, und das Vintage-Korsett von Jean Paul Gaultier bestätigt Classique als provokantes Paradebeispiel der Emanzipation der 90er. Wobei sich Gaultier wohlmöglich vom Bustier-Design des Flakons für den Duft „Shocking“ von Elsa Schaparelli inspirieren ließ, welcher 1937 von Jean Charles kreiert wurde. Apropos Inspiration, der Hamburger Designer Peter Schmidt gehört zu einem der wenigen Deutschen, dessen Kreationen nahezu jeder schon einmal in der Hand hatte. Ob Hugo Boss, Davidoff oder Jil Sander: Seine streng minimalistischen aber wunderschönen Flakons treffen den richtigen Zeitgeist und das schon seit den 70ern! Der Flakon zum Duft „Woman Pure“ von Jil Sander wurde übrigens in die Galerie des MoMA (Museum of Modern Art) in New York aufgenommen.
Funktion ist die Pflicht, Emotion die Kür!
Der Flakon als sichtbarer Teil des Ganzen trägt dazu bei, dass das Parfum in seiner ganzen Faszination wahrgenommen wird. Bei dieser Wahrnehmung spielen Emotionen als Herznote eine wichtige Rolle. Bekannt unter Emotional Design, umschreibt dieser Begriff den gestalterischen Ansatz, dass Design neben der funktionalen Formgebung zusätzlich die Gefühle des Menschen ansprechen sollte. Dabei wird vor allem ein Hauptaugenmerk auf das Storytelling gelegt. So sei die Geschichte das Wichtigste, denn es ginge nicht darum, eine schöne Flasche unter Milliarden von schönen Flaschen zu entwerfen, wie Fabien Baron, der legendäre Designer, Fotograf und Filmemacher hinter einigen der erfolgreichsten Parfum-Einführungen der Geschichte wie z.B. L’Eau d’Issey, CK One und Acqua di Giò, die Aussage von Thierry de Baschmakoff weiterführt. Es geht darum, den Duft, die Geschichte und die Werte der Marke angemessen in eine Form zu gießen. Keine einfach Sache. Gelingt es dem Designer aber, so kann er sicher sein, dass seine Kreation Emotionen bei potenziellen Käufern weckt, die genauso berauschend und komplex wie der Duft im Inneren sind und das trägt in einer Zeit, wo Verbraucher oft online gehen, um Düfte zu erleben, anstatt zu Fuß bis zu einem Ladentisch maßgeblich zum Erfolg des Parfums bei. Dabei kann ein und derselbe Flakon unterschiedlichste Gefühlsreaktionen auslösen, denn welche Gefühle tatsächlich entstehen, entscheidet ausschließlich der Betrachter.
Ein Zeichen für mehr Umweltschutz
Die Parfumindustrie entwickelt sich in dieser Hinsicht ständig weiter: So spielt neben dem ästhetischen und sensorischen Erlebnis auch der neuzeitliche Gedanke der Nachhaltigkeit eine große Rolle, um das gute Gefühl beim Käufer und seine emotionale Verbindung zum Parfum und der Marke zu festigen. Mittlerweile achten viele Marken daher auf ein Öko-Design ihrer Flakons, die man ganz einfach und im Handumdrehen wieder auffüllen kann. So wandern die hübschen „Gläser“ nicht in den Abfall und müssen zudem nicht aufwendig recycled werden. Und auch der Verbrauch von Ressourcen sinkt, da weniger neue Flakons produziert werden müssen. Sammlerstücke, die keine Chance auf ein „zweites Leben“ haben, bleiben aber weiterhin heiß begehrt als Deko-Element oder kostbarer Schmuckschatz.